Wie sterben? Würdiger Abschied im Hospiz

Ein Hospiz in Nordrhein Westfalen. Ein evangelischer Pastor hält die faltige Hand einer todkranken, alten Frau. Die Geräusche und die Apparate in dem freundlich eingerichteten Krankenzimmer wirken auf Besucher befremdlich. Der rasselnde Atem der Sterbenden wird begleitet von seltsam anmutenden Blubbergeräuschen, welche aus dem Sauerstoff-Reservoire dringen. Hier und da lässt sich ein leises Piepsen aus dem EKG-Gerät vernehmen. Ansonsten wirkt alles sehr friedlich. Draußen scheint die Sonne. Vogelgezwitscher dringt durch die leicht geöffneten Fenster in den Raum. Der Brustkorb der Frau hebt und senkt sich ungewöhnlich schnell, und man spürt, wie schwer ihr das Atmen schon fällt. Doch sie muss nicht alleine sterben. Ihre Kinder wurden bereits informiert und der Pastor verweilt am Sterbebett, bis die Angehörigen eintreffen. Die Sterbende hält die Augen bereits geschlossen, aus dem weit aufgerissenen Mund dringt das Röcheln der letzten Atemzüge. Soeben betreten Familienmitglieder den Raum und nehmen Abschied. Streichen ihr durchs schüttere, weiße Haar, küssen die knochigen Wangen und sprechen leise mit ihr. Sie öffnet die Augen nicht mehr, aber die Anwesenden spüren die Geborgenheit dieser Atmosphäre. Ein paar Minuten noch, dann dringt ein tiefer Seufzer aus der verkrampften Brust. Sie ist gegangen. Es ist jetzt ganz still im Sterbezimmer. Dankbar, bei dem Tod der geliebten Verstorbenen dabei gewesen zu sein verweilt ihre Familie noch an ihrem Bett. Tränen rollen leise und der Pastor spricht gemeinsam mit den Anwesenden ein kurzes Gebet.

Sterben ist nicht einfach

Trauerkerze anzünden

Angehörige von intensiv Pflegebedürftigen oder Patienten mit einer Diagnose, die nicht mehr viel Lebenszeit prognostiziert, denken früher oder später über die Unterbringung in einem Hospiz nach. Nicht nur Sterbende werden medizinisch und seelsorgerisch bis zum Schluss betreut. Auch Patienten, die sich nach schweren Unfällen zeitlebens nicht mehr alleine versorgen können, werden in Hospizen auf höchstem Niveau ganzheitlich betreut. Ganz oben steht in solchen Einrichtungen die Menschlichkeit. Nicht selten sind auch Jugendliche in einem Hospiz anzutreffen.

Was ein Hospiz von anderen Pflegeeinrichtungen unterscheidet, ist unter anderem die Einstellung zur Medizin. Während die medizinische Versorgung im Normalfall immer auf Heilung ausgerichtet ist, hat im Hospiz die Schmerzlinderung oberste Priorität. Dem Patient soll bis zuletzt ein hohes Mass an Lebensqualität erhalten bleiben. Da kann dann schon mal die Morphin-Dosis erhöht werden, um den Schmerzen beizukommen. Viele Menschen möchten auch auf keinem Fall in einem Krankenhaus sterben. Es fehlen da einfach die notwendigen Pflege-Kapazitäten um sich intensiv mit einem Sterbenden auseinander zu setzen. Die lebenserhaltenden Maschinen und die kalte Krankenhaus-Atmosphäre tun ihr Übriges; so möchte niemand aus dem Leben gehen. Allein gelassen mit seinen Ängsten, angeschlossen an Apparate und ohne seelischen Beistand. Sterben ist nicht nur ein körperlicher Prozess. Die Psyche rebelliert. Deshalb ist es so wichtig, einen unheilbar Kranken bis zuletzt zu begleiten. All das ist in einem Krankenhaus unmöglich.

Nordrhein Westfalen. Der Abschiedsraum im Hospiz ist sehr hell und freundlich. Nicht nur christliche, auch muslimische, evangelische oder jüdische Glaubensvertreter werden hier liebevoll aufgebahrt, damit Verwandte oder Freunde sie vor der Übergabe an ein Bestattungsinstitut noch einmal sehen können. Eine Kerze flackert vor sich hin; insgesamt wirkt alles sehr friedvoll. Bilder an der Wand und Blumen fügen sich dekorativ in das Gesamtbild ein. In der Mitte des Raumes steht das Bett mit der alten Frau, welche zwei Stunden zuvor verstorben ist. Ihre Haare wurden ein letztes Mal gekämmt, der schmerzvolle Gesichtsausdruck ist einem friedlichen, schlafähnlichen gewichen. Der Pastor, der in ihrer Sterbestunde an ihrem Bett verweilte unterhält sich vor dem Abschiedsraum leise mit einem älteren Herrn im Rollstuhl. Auch dieser hat sich den Wunsch erfüllt, in einem Hospiz seinen Abschied zu nehmen, um seiner Familie eine aufwendige Pflege und die seelische Belastung nicht aufbürden zu müssen. Verwandte besuchen ihn jeden Tag. Er wird zusehends schwächer, und so stimmt es ihn froh, dass heute noch einmal ein Ausflug mit ihm unternommen wird. Er wird von seinem Sohn abgeholt und gemeinsam besuchen sie die Kapelle, in die er in seiner Kindheit und Jugend so gerne gegangen ist. Gut versorgt mit Schmerzmitteln bestaunt er demütig die Wandmalereien, die sein Leben prägten. Später versammelt sich die ganze Familie in seinem Lieblingsrestaurant, in dem sie ein gemeinsames Essen genießen. Sehr erschöpft, aber dankbar wird er abends wieder ins Hospiz gebracht. Zwei Wochen später verstirbt der Mann im Kreise seiner Angehörigen.

Was am Ende bleibt ist die Würde

In Würde sterben. Das ist es, was alle sich wünschen, aber nur wenigen gelingt. Die Würde des Menschen bis zuletzt zu achten, das wird in einem Hospiz täglich gelebt. Nicht nur von Krankenpflegern und Ärzten; auch Sterbebegleiter und Psychologen bemühen sich bis zum Schluss um das einzige, was einem Menschen am Ende noch bleibt. Menschlichkeit und Wärme umgeben einen Patienten in dieser letzten, zumeist sehr anstrengenden Phase. Die Medizin nimmt den Schmerzen seinen Schrecken. Sterbebegleiter durchlaufen die psychische Ebene des Sterbeprozesses mit dem Erkrankten. Eingebettet in dieses Fangnetz aus Nächstenliebe und Palliativmedizin kann der Sterbende Schritt für Schritt loslassen. Wie also sterben? In Würde!










RIP